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18 Oct
18Oct

Kennen Sie Make und Zapier, die in Kombination mit ChatGPT selbst kleinste Aufgaben automatisieren?

Die Automatisierung von Aufgaben mittels künstlicher Intelligenz (KI) und digitaler Tools ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. Von Kalendererinnerungen bis zur automatisierten Organisation von To-Do-Listen in Notion – all diese Funktionen erleichtern unser Leben. 

In meiner eigenen Arbeit habe ich mich intensiv mit den Möglichkeiten der Automatisierung in meiner Branche auseinandergesetzt. Dabei wurde mir klar, dass nicht jede Automatisierung sinnvoll ist – zumindest nicht für mich.

Doch welche Folgen hat diese Entwicklung für unser Gehirn insgesamt? Was passiert, wenn wir zunehmend kognitive Aufgaben an KI-gestützte Helfer auslagern? 

In diesem Artikel werfen wir einen differenzierten Blick auf wissenschaftliche Studien. Sie präsentieren die möglichen Auswirkungen dieser Entwicklung.


Gedächtnisverlust durch digitale Amnesie: Eine schleichende Gefahr

Automatisierung kann viele Vorteile bieten, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Ein interessantes Phänomen ist die sogenannte „Digitale Amnesie“. 

Der Report von Sparrow et al. (2011) zeigt, dass Menschen dazu neigen, eher daran zu denken, dass sie Informationen jederzeit online abrufen können, anstatt sie sich selbst zu merken. Diese Form der „externen Speicherung“ führt dazu, dass unser Gedächtnis weniger effektiv arbeitet, weil wir uns mehr darauf verlassen, wo die Information zu finden ist, statt auf den Inhalt selbst. 

Diese Art des „transaktiven Gedächtnisses“ ähnelt den Beziehungen, die wir in Gruppen entwickeln, bei denen wir wissen, wer welche Information hat.

  • Quelle: Sparrow, B., Liu, J., & Wegner, D. M. (2011). Google Effects on Memory: Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips. www.sciencexpress.org / 14 July 2011 / 10.1126/science.1207745 



Abhängigkeit von Technologie: Die drohende Verlust unserer Selbstständigkeit

Mit der Automatisierung alltäglicher Aufgaben besteht die Gefahr einer wachsenden Abhängigkeit von diesen Technologien. 

Nicholas Carr beschreibt in seinem Buch The Shallows, dass unsere Fähigkeit zur tiefen Konzentration und zum eigenständigen Denken darunter leiden kann, wenn wir uns fortwährend auf Technologien verlassen, die uns kognitive Arbeit abnehmen. 

Das Gehirn passt sich an diese neue Form der Unterstützung an, und wir könnten wichtige kognitive Fähigkeiten einbüssen. Daher ist es wichtig, sich bewusst zu machen, wie wir Technologie nutzen und welche Auswirkungen dies auf unsere Selbstständigkeit hat.

  • Quelle: Carr, N. (2010). The Shallows: What the Internet Is Doing to Our Brains. W. W. Norton & Company. Publish Date March 03, 2020


Die Gefahr des Multitaskings: Der Feind der tiefen Konzentration

Die automatisierte Verarbeitung von Aufgaben kann dazu führen, dass wir verstärkt Multitasking betreiben. Doch die vermeintliche Effizienz hat ihren Preis. Die ursprüngliche Studie von Ophir et al. (2009) deutete darauf hin, dass Personen, die regelmässig Multitasking betreiben, Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu steuern und sich wirklich auf eine Aufgabe zu konzentrieren. 

Diese Annahme wurde jedoch in späteren Replikationsstudien von Wisnu Wiradhany und Mark R. Nieuwenstein (2017) hinterfragt, die keine eindeutige Bestätigung für den Zusammenhang zwischen Medien-Multitasking und verringerter Aufmerksamkeit finden konnten. 

Die Meta-Analyse zeigte, dass der Effekt von Medien-Multitasking auf die Aufmerksamkeit oft überschätzt wird, insbesondere in kleineren Studien, die positive Ergebnisse berichteten.

Auch wenn die wissenschaftliche Evidenz nicht eindeutig ist, bleibt die Sorge bestehen, dass Automatisierung und Multitasking kognitive Anforderungen reduzieren und zu einer oberflächlicheren Verarbeitung von Informationen führen können, was die Fähigkeit zur tiefen Auseinandersetzung mit einer Aufgabe beeinträchtigen könnte.

  • Quellen: Ophir, E., Nass, C., & Wagner, A. D. (2009). Cognitive Control in Media Multitaskers. Proceedings of the National Academy of Sciences, 106(37), 15583-15587. Wisnu Wiradhany & Mark R. Nieuwenstein (2017). Cognitive Control in Media Multitaskers: Two Replication Studies and a Meta-Analysis.


Verlust der kreativen Langeweile: Wenn die Muse verstummt

Früher bedeuteten viele kleine Aufgaben auch Momente des Nachdenkens und der kreativen Problemlösung. Automatisierung nimmt uns diese Möglichkeit teilweise. 

Moshe Bar (2007) beschreibt, dass das menschliche Gehirn in ruhigen Phasen, wenn wir nicht auf eine spezifische Aufgabe fokussiert sind, aktiv Assoziationen und Vorhersagen trifft. Diese "default"-Phasen des Gehirns sind entscheidend für die Entstehung kreativer Ideen und die sogenannten „Aha-Momente“. Wenn wir unsere Zeit jedoch vollständig automatisieren und ständig beschäftigt sind, verpassen wir möglicherweise genau diese wertvollen Momente, die unser Denken bereichern können. Es sind die Phasen der Langeweile und des freien Denkens, die unserem Gehirn Raum für kreative Prozesse geben.

  • Quelle: Bar, M. (2007). The Proactive Brain: Using Analogies and Associations to Generate Predictions. Philosophical Transactions of the Royal Society B, 364, 1235-1242.
  • Quelle: Bar, M. (2011). The Proactive Brain: Using Analogies and Associations to Generate Predictions. Frontiers in Psychology, 2, 383.


Veränderte Aufmerksamkeitsspanne: Der Zerfall der Fokussierung

Das ständige Wechseln zwischen Aufgaben, erleichtert durch digitale Hilfsmittel, kann Auswirkungen auf unsere Aufmerksamkeitsspanne haben. 

Small und Vorgan (2008) zeigen auf, dass die Gewohnheit, zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her zu springen, unsere Fähigkeit, tief in eine einzige Tätigkeit einzutauchen, beeinträchtigen könnte. Die veränderte Aufmerksamkeitsspanne könnte dazu führen, dass wir uns weniger auf eine Aufgabe konzentrieren, was langfristig unsere Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, beeinflussen kann.

  • Quelle: Buch, Small & Vorgan (2009). iBrain: Surviving the Technological Alteration of the Modern Mind. HarperCollins.


Persönliche Gedanken

Die Vorteile der Automatisierung sind unbestreitbar, aber die langfristigen Folgen für uns Menschen sollten nicht ausser Acht gelassen werden. Die Gefahr besteht, dass wir essentielle Fähigkeiten wie Gedächtnisleistung und Konzentration verlieren oder dass unsere Aufmerksamkeitsspanne noch geringer wird, als sie es bereits ist. 

Ich frage mich oft, was uns Menschen noch ausmacht, wenn wir selbst kleinste Dinge automatisieren? 

In meiner Arbeit stelle ich fest, dass die Themen, die wirklich wichtig für uns Menschen sind, oft zu kurz behandelt werden. Wir nutzen erweiterte Intelligenz gezielt und nicht für jede Tätigkeit.


Fazit: Ein Gleichgewicht finden

Die Automatisierung und der Einsatz von KI-Tools bieten ohne Zweifel erhebliche Vorteile – sie sparen Zeit und vereinfachen unseren Alltag. Doch es ist entscheidend, auch die langfristigen Auswirkungen auf unsere kognitiven Fähigkeiten zu beachten. 

Welche Aufgaben möchten wir wirklich an Technologie abgeben, und welche sollten wir bewusst selbst bewältigen, um geistig fit und kreativ zu bleiben? 

Ein bewusstes Gleichgewicht zwischen Automatisierung und eigenem Denken kann uns helfen, sowohl effizient als auch geistig gesund zu bleiben.


Bildquelle: Canva-Kreation